
Rohöl. Die Nachfrage wächst kaum noch
Vor 50 Jahren drehten die arabischen Länder den Ölhahn zu und der Preis stieg massiv an. Heute sitzen sie scheinbar am kürzeren Hebel. Vieles spricht dafür, dass wir vor einer Überproduktion stehen. Barbara Lambrecht und Carsten Fritsch schauen hinter die Kulissen.
Findet der lange Anstieg der globalen Ölnachfrage bald ein Ende? Zumindest die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus. So prognostiziert sie in ihrem Mitte Juni veröffentlichten mittelfristigen Ausblick, dass der Ölverbrauch ab Ende dieses Jahrzehnts fallen wird. Noch vor fünf Jahren ging die Agentur in ihrem längerfristigen »World Energy Outlook« davon aus, dass die globale Ölnachfrage bis 2040 steigen wird.
Starke Abschwächung der Nachfrage
Verbrauch sinkt in Europa und Nordamerika – steigt jedoch in anderen Regionen. Aber auch dort soll sich der Anstieg ab 2027 abflachen, sodass die globale Ölnachfrage ihr Hoch am Ende dieses Jahrzehnts erreichen soll. Ein deutlich stärkeres und länger anhaltendes Nachfragewachstum sieht dagegen die OPEC, deren Generalsekretär kurz nach Veröffentlichung der jüngsten IEA-Prognosen diesen vehement widersprach.
Zwei Drittel des Verbrauchs für Transporte
Wesentlicher Treiber der globalen Ölnachfrage war in den vergangenen drei Jahrzehnten der Transportsektor, der inzwischen fast zwei Drittel der Nachfrage ausmacht. Erst mit weitem Abstand folgt als zweitgrößte Verwendung die nichtenergetische Nutzung von Öl, also als Ausgangsmaterial zum Beispiel in der Chemieindustrie. Diese beansprucht ungefähr ein Fünftel der Nachfrage. Auf die anderen Verwendungen entfallen zusammen in etwa genauso viel. Die IEA erwartet nun, dass der langjährige Aufwärtstrend im Transportwesen durch eine künftig fallende Benzinnachfrage gebremst wird. Diese steht für immerhin gut ein Viertel der globalen Ölnachfrage.
E-Mobilität bremst Ölnachfrage – nur wie stark?
Ganz entscheidend für den erwarteten künftigen Nachfragerückgang im Transportwesen ist der Umstieg auf die E-Mobilität. Die Steigerung der Verkaufszahlen bei den E-Autos war bis zuletzt immens: Wurden im Jahr 2020 weltweit gerade einmal 3 Mio. E-Autos verkauft, waren es 2023 schon 14 Mio. Das entsprach immerhin jedem fünften Neuwagen. Skeptisch für das Erreichen der IEA-Erwartungen stimmt aber, dass sich der Anstieg der E-Auto-Verkäufe in den drei großen Absatzmärkten, die zusammen rund 95 % des Marktes ausmachen, zuletzt deutlich abgeflacht hat. China ist die treibende Kraft bei der Elektromobilität. Dort hatten die E-Autos im vergangenen Jahr bereits einen Anteil von 38 % an den Neuwagen. Anders ist die Situation in Europa, dem zweitgrößten Absatzmarkt: Hier stellen E-Autos 2023 gerade mal gut ein Fünftel des Pkw-Marktes. Dass – wie von der IEA unterstellt – im Jahr 2030 bereits 60 %
der Neuwagen elektrobetrieben sein werden, erscheint ambitioniert. Nach der Streichung staatlicher Kaufanreize ist der Absatz von E-Autos insbesondere in Deutschland dieses Jahr eingebrochen. Das Szenario der IEA, in dem im Jahr 2030 mehr als jeder zweite Neuwagen elektrobetrieben ist und infolgedessen die globale Benzinnachfrage gegenüber dem letzten Jahr um rund 18 % schrumpfen soll, erscheint uns daher als zu optimistisch.
Petrochemie und Luftfahrt mit wachsendem Bedarf. Natürlich gibt es auch Segmente, in denen die Ölnachfrage steigen könnte. Am stärksten dürfte der Bedarf der Petrochemie zulegen. Zweiter Wachstumstreiber ist der zunehmende Flugverkehr bzw. der Kerosinverbrauch, der aktuell mit gut 7 % des Verbrauches allerdings ein noch immer vergleichsweise kleines Segment ist. Trotz der in einigen Bereichen noch steigenden Nachfrage dürfte der globale Ölverbrauch in den kommenden Jahren seinen Hochpunkt erreichen. Denn der geringere Ölbedarf im Straßenverkehr dürfte die steigende Nachfrage vor allem aus der Industrie kompensieren.
Ölpreis dauerhaft unter Druck?
Sollten die Prognosen der IEA eintreten, würde das sich abzeichnende deutliche Überangebot den Ölpreis in den kommenden Jahren unter Druck setzen. Die OPEC – und hier insbesondere Saudi-Arabien – dürften daher zusätzliche Kapazitäten stilllegen und damit den Markt stabilisieren. Denn die Staatsbudgets dieser Länder sind stark auf stabile Einnahmen aus dem Ölsektor angewiesen. Ohne entsprechende marktstabilisierende Maßnahmen würden die Ölpreise unter Druck geraten. Die Überkapazitäten stehen aber deutlich höheren Preisen entgegen, sodass ein Preisniveau von mehr als 100 US-$ je Fass für einen längeren Zeitraum unwahrscheinlich geworden ist – jedenfalls solange eine weitere Eskalation der momentanen Konflikte ausbleibt.
Globale Förderkapazitäten steigen an
Gleichzeitig mit dem sich abflachenden Anstieg der Nachfrage dürften die weltweiten Förderkapazitäten weiter deutlich steigen. Zum einen dürfte die Förderung von Erdgas deutlich zunehmen, bei der flüssige Gasbestandteile und Kondensate als Nebenprodukte anfallen.
Auf diese entfällt fast die Hälfte der erwarteten Kapazitätsausweitung. Zum anderen sind neue Projekte bei den zuletzt gezahlten 80 US-$ je Fass zumindest auf kurze Sicht weiter profitabel, was in den nächsten zwei Jahren einen Ausbau der Produktionskapazitäten außerhalb der OPEC+ begünstigt. Solche Ölproduzenten dürften daher absehbar den Produktionsanstieg dominieren. Allein auf dem amerikanischen Kontinent soll die Ölproduktion laut IEA bis 2030 um 4,4 Mio. Fass pro Tag steigen.
Der Bedarf an Öl aus der OPEC+ soll deshalb gegenüber 2024 um 1,3 Mio. Fass pro Tag sinken. Die IEA rechnet daher ab 2025 mit
beträchtlichen Überschüssen, die von Jahr zu Jahr zwischen knapp 500 000 und mehr als 1 Mio. Fass pro Tag schwanken. Um diese zu verhindern, müsste die OPEC+ ihre Produktion bis 2029 kontinuierlich reduzieren, statt sie wie angekündigt ab Dezember dieses Jahres schrittweise zu erhöhen. Die IEA geht außerdem davon aus, dass sich die Überkapazitäten im Jahr 2030 auf etwa 8 Mio. Fass pro Tag
belaufen werden. Dies wäre noch einmal deutlich mehr als derzeit (6 Mio. Fass).