Handelskrieg. Es geht um mehr als die Wirtschaft
Was will Präsident Trump mit seiner Zollpolitik erreichen? Geht es ihm nur um Wettbewerbsfähigkeit und Staatseinnahmen, oder steckt eine ganz andere, große Strategie dahinter? Charles Hart lenkt den Blick auf historische Zusammenhänge und beschreibt, was das für die Agrarmärkte bedeuten könnte.
US-Präsident Trump bricht gerade einen Handelskrieg mit allen wichtigen Ländern vom Zaun. Warum eigentlich? Vor den US-Präsidentschaftswahlen und in den ersten Wochen der neuen US-Regierung nahmen viele Analysten seine wiederholten Ankündigungen universeller Zollmaßnahmen nicht für bare Münze. Vor allem Trump-nahe politischen Kommentatoren und nicht zuletzt die Finanzmärkte verstanden die Androhung von Zöllen als Verhandlungsinstrument. Wobei sie implizit davon ausgingen, dass die Adressaten von Trumps kriegerischer Handelsrhetorik letztlich einlenken und sich dem wirtschaftlichen Druck beugen würden.
Gibt es eine »Große Makro-Strategie« der US-Regierung?
Es gab auch die Erwartung, dass die Zölle auf bestimmte Sektoren abzielen und schrittweise eingeführt werden würden, um den potentiellen Anstieg der Inflation zu minimieren und der US-Wirtschaft Zeit zur Anpassung zu geben. Was bei diesen Einschätzungen fehlte – und in einigen Fällen immer noch fehlt – war eine Konzeption dessen, was wir bei der Rabobank als »Grand Macro Strategy« bezeichnen. Diese Strategie unterscheidet sich von den üblichen wirtschaftswissenschaftlichen strategischen Überlegungen in Bezug auf deren Zielsetzung.
Gibt es eine »Große Makro-Strategie« der US-Regierung? Möglicherweise geht es Präsident Trump gar nicht vorrangig um die Perspektiven der US-Wirtschaft.
Üblicherweise lautet die Frage: »Was ist BIP-Wachstum?«. Diese Frage führt zu Vergleichen, wie effektiv verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen für die Erreichung wirtschaftlicher Ziele sind. Fragt man hingegen: »Wozu dient BIP-Wachstum?«, kommt man zu einem anderen Ergebnis.
Diese übergeordnete »Große Makrostrategie« berücksichtigt, wie verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen zusammen mit politischer Macht und militärischen Kapazitäten bei der Verfolgung strategischer Ziele eingesetzt werden können. Damit werden die potentiellen Folgen von Zöllen für die Inflationsraten und das Wirtschaftswachstum in den USA zwar nicht obsolet, verlieren aber ihre privilegierte Stellung in der Entscheidungsmatrix. Mit anderen Worten: Zölle und andere handelspolitische Maßnahmen stehen im Instrumentarium der Trump-Administration neben territorialem Säbelrasseln, Massendeportationen und dem Entzug internationaler Hilfe. Die vorgeschlagenen US-Hafengebühren für in China gebaute Schiffe sind nur die jüngste Ergänzung.
All dies bedeutet, dass die Märkte und die internationalen Handelsströme vor einer verspäteten und aller Wahrscheinlichkeit nach turbulenten Phase der Anpassung an die neue oder (aus einer längerfristigen historischen Perspektive) an die alte Normalität stehen.
Die Sicherheitsinteressen der USA sind das eigentliche Ziel der verschiedenen US-Maßnahmen. Das Weiße Haus hat am 1. Februar in einem Begleitschreiben zu den Zollankündigungen darauf hingewiesen, dass Zölle »eine mächtige und bewährte Hebelwirkung zum Schutz der nationalen Interessen« haben. Weiter heißt es, dass »frühere Regierungen es versäumt haben, Amerikas außergewöhnliche Stärke und seine einzigartige Rolle im Welthandel zu nutzen, um die Sicherheitsinteressen des amerikanischen Volkes zu verbessern«. Dies ist im Klartext die Stoßrichtung, die hinter der »Großen Makrostrategie« steht.
Kanada und China versuchen mit ihren Gegenmaßnahmen, gezielt die US-Landwirtschaft zu treffen. Binnen einer Woche nach Ankündigung der US-Zölle kündigten sowohl Kanada als auch China Vergeltungsmaßnahmen an. Die machten deutlich, wie sehr die US-Landwirtschaft und die US-Agrarexporte unter der Handelsoffensive der Trump-Regierung leiden könnten. Kanada kündigte 25 % Zoll auf US-Waren im Wert von 30 Mrd. Kan-$ an, die Fleisch- und Molkereiprodukte sowie Obst und Gemüse umfassen. China reagierte zunächst mit der Einführung zusätzlicher Zölle von 10 % bzw. 15 % auf US-Rindfleisch, Schweinefleisch, Sojabohnen, Hühnerfleisch, Mais, Baumwolle, Weizen und andere Agrarerzeugnisse. Nach der US-Zollerhöhung auf über 100 % kommt seit dem 9. April ein Zusatzzoll von50 % auf alle US-Importe hinzu.
Als Erzeuger von Überschüssen hängt die US-Agrarbilanz zu einem nicht geringen Teil vom Zugang zu ausländischen Märkten ab. Laut einer Pressemitteilung des US-Bauernverbandes stammen mehr als 20 % des gesamten landwirtschaftlichen Einkommens aus Exporten. Fast die Hälfte des Gesamtwerts der US-Agrarausfuhren entfiel 2024 auf China, Kanada und Mexiko.
Darüber hinaus könnten die Vergeltungsmaßnahmen auch zu höheren Kosten für importabhängige Betriebsmittel führen, etwa Kalidünger. Dafür ist Kanada der größte Lieferant der USA, die so gut wie keine eigene Produktion hat.
Die US-Landwirte können kurzfristig nicht auf Hilfen hoffen. Das Eingeständnis von Landwirtschaftsministerin Brooke Rollins vom 3. April, dass eine Entscheidung über die Ausweitung direkter Finanzhilfen für den heimischen Agrarsektor noch Monate auf sich warten lässt, dürfte ihnen wenig Vertrauen eingeflößt haben. Am 2. April hat das US-Landwirtschaftsministerium vier verschiedene Programme zur Förderung des Agrarhandels für 2026 vorgestellt. Zusammengenommen sind die jährlichen Mittel der vier Programme geringer als der Wert der US-Agrarausfuhren in den Irak.
Der Wandel hin zu einem protektionistischeren internationalen Handelsumfeld hat erhebliche Auswirkungen auf die globalen Agrarrohstoffmärkte. Kurzfristig, ohne an dieser Stelle auf spezifische Maßnahmen einzugehen, ist zu erwarten, dass eine Zunahme der restriktiven Handelspraktiken zu einem Rückgang der gehandelten Mengen und der Durchschnittspreise führen wird. In den Monaten nach dem anfänglichen Zollschock könnte die schrittweise Umlenkung der internationalen Handelsströme jedoch zu einem Wiederanstieg des Handelsvolumens führen.
Die zunehmende internationale Marktsegmentierung und die zollbedingten Handelsstrombeschränkungen würden aber weiterhin auf die Durchschnittspreise drücken, sofern keine Missernten oder Tierseuchen zu Knappheiten führen. Der unelastische Charakter der Nachfrage nach den meisten landwirtschaftlichen Massengütern und Halbfertigprodukten sorgt dafür, dass restriktive Handelsmaßnahmen mehr auf die Preise und weniger auf die gehandelten Mengen drücken.
So können sich Warenströme neu ausrichten
Beispiele. Der erst vor Kurzem beendete Handelsstreit zwischen China und Australien liefert ein Beispiel dafür, wie die Neuausrichtung des Handels ablaufen könnte: Als China 2020 aufgrund von Dumpingvorwürfen prohibitive Einfuhrzölle auf australische Gerste einführte, war dieser Markt für australische Exporte praktisch geschlossen. Im Gegenzug verlagerten sich die Ausfuhren australischer Gerste unter anderem nach Saudi-Arabien, einem preisempfindlicheren Markt als China. Die Exporteure in Argentinien, Kanada und der EU bauten hingegen ihren Anteil am höherwertigen chinesischen Markt aus. Auch der australische Inlandsmarkt für Futtermittel fing einen Teil der unterbrochenen Handelsströme auf.
China weiß um seine Bedeutung im Weltagrarmarkt.Wie flexibel der Weltagrarmarkt ist, zeigte sich, als China Ende 2023 die Einfuhrzölle aufhob und die internationalen Handelsströme für Gerste wieder in die Bahnen von vor 2020 zurückkehrten. Der Verlauf des Handelsstreites zwischen China und Australien zeigt, dass sich China der Bedeutung seines Binnenmarktes für internationale Agrarexporteure bewusst ist.
Dafür gibt es weitere Beispiele: Die Vergeltungszölle Chinas auf US-Agrarimporte in den Jahren 2018 und 2019 oder die Einleitung von Untersuchungen zu Schweinefleischimporten aus der EU im vergangenen Jahr. Im März dieses Jahres belegte China kanadisches Rapsöl und Rapsschrot mit extremen Zöllen von 100 %. Das führte kurzfristig zu einem drastischen Rückgang der Rapspreise. Der Markt hat sich seitdem wieder erholt, vor allem nachdem die USA Zölle auf Güter, die unter das USMCA-Abkommen (das Nachfolgeabkommen der NAFTA) zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada fallen, wieder aufgehoben hat.
Zollschranken können zur langfristigen Neuausrichtung der Handelsbeziehungen führen. Trotz der möglichen Umkehrung der Handelsströme, wie sie im Streit zwischen China und Australien zu beobachten war, können Anpassungsmaßnahmen die Zölle selbst überdauern und sich längerfristig auf die Entwicklung des internationalen Agrarhandels und der Marktanteile auswirken. Der Handelskrieg zwischen den USA und China in den Jahren 2018 und 2019 veranlasste China, seine frühere Abhängigkeit von US-Agrarexporten zu verringern. Davon profitierte vor allem Südamerika. Im Jahr 2022 unterzeichnete China ein Abkommen mit Brasilien, das den chinesischen Inlandsmarkt für Maisexporte aus Brasilien öffnete. Schon 2023 kamen dann 45 % der chinesischen Maisimporte aus Brasilien. Auch argentinischer Mais wurde inzwischen für den chinesischen Markt freigegeben. Eine Ironie der Geschichte: Die nicht gerade seltenen Verweise von Präsident Trump auf das US-Agrarhandelsdefizit sind zum Teil auf die negativen Auswirkungen des Handelskriegs zwischen den USA und China 2018 bis 2019 unter der ersten Trump-Regierung zurückzuführen.
Welche wichtigen internationalen Handelsströme könnten in naher Zukunft durch die US-Zollpolitik ins Wanken geraten? Die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China und die gegenseitige Einführung von Zöllen auf Importe der jeweils anderen Seite sind eine der grundlegenden Faktoren auf dem globalen Getreide- und Ölsaatenmarkt. Wie in den Jahren 2018 und 2019 dürfte sich ein Handelskrieg vor allem auf dem Sojamarkt bemerkbar machen. In diesem Zeitraum stieg der brasilianische Anteil an den Sojaimporten Chinas von rund 50 % auf 75 %. Nach den jüngsten Zollankündigungen zogen die Preise für Sojaschrot in China stark an. Das können die Brasilianer zu ihrem Vorteil nutzen. Angesichts der zu erwartenden Rekord-Sojabohnenernte ist das Land für die kommenden Monate gut aufgestellt.
Was die bilateralen Handelsströme mit Mais betrifft, so könnten die Auswirkungen der Zölle weniger ausgeprägt sein. China war zuletzt so gut wie nicht auf dem US-Maisexportmarkt vertreten, was den brasilianischen Exporteuren zugutekam. Allerdings fällt die Maisnachfrage Chinas in der laufenden Saison von 24,3 Mio. t im Vorjahr auf jetzt nur noch 8 Mio. t.
EU-Agrarexporte sind vorwiegend verarbeitet und daher auf die Kaufkraft im Empfängerland angewiesen. Für den europäischen Agrarsektor muss eine Abschätzung der Auswirkungen der jüngsten Zollentwicklungen zwei Faktoren berücksichtigen: Die Auswirkungen der Zölle auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Produkte auf dem US-Inlandsmarkt. Und die Auswirkungen der US-Zölle auf Umlenkungen der internationalen Agrarhandelsströme.
Der von Präsident Trump verhängte Zusatzzoll von 20 % bedeutet einen beträchtlichen Gegenwind für das Exportpotential hochwertiger Produkte, darunter bestimmte Butter- und Käseerzeugnisse, Olivenöl sowie Spirituosen und Weine. Es gibt eine wichtige – wenn auch stark vereinfachte – Unterscheidung zwischen den Agrarexporten der USA und denen der EU. Bei den US-Exporten handelt es sich in der Regel um Massengüter, bei den Exporten der EU in der Regel um halbverarbeitete oder verarbeitete Lebensmittel. Die Importnachfrage für US-Agrarexporte hat eine breitere und unelastischere internationale Basis als die der EU-Exporte. Mit anderen Worten: Die Auswirkungen der Vergeltungszölle auf den US-Agrarsektor hängen von der Größe des Marktes ab, der sie auferlegt, während für den europäischen Agrarexport das Pro-Kopf-Einkommen desselben Marktes von größerer Bedeutung ist.
Vermutlich profitieren erneut die Südamerikaner. Bei Redaktionsschluss war die Reaktion der EU auf die US-Zölle noch nicht bekannt. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte am 6. April, die EU sei entschlossen, in Verhandlungen mit den USA einzutreten: »Wir sind bereit, unsere Interessen durch angemessene Gegenmaßnahmen zu verteidigen.« Angekündigt, aber nach der US-Zollverschiebung um 90 Tage ebenfalls für diesen Zeitraum nicht in Kraft gesetzt, hat Brüssel, das 2018 und 2019 eingeführte Paket von Gegenzöllen wieder aufleben zu lassen. Das beinhaltet auch einen Zoll auf US-Maisimporte. Die Kommission veröffentlichte außerdem eine Liste potentieller Waren, die auch Sojabohnen, nicht aber Sojamehl enthielt. Wieder einmal werden die Südamerikaner von den Spannungen im Agrarhandel zwischen den USA und ihren Handelspartnern profitieren.