
Ackerbau. Wenn Weizen nur Zwischenfrucht ist
Tulpen oder Gemüse bringen deutlich mehr Umsatz als zum Beispiel Getreide. Gerade bei begrenzter Verfügbarkeit von Boden legen viele Ackerbauern ihren Fokus auf Sonderkulturen. Philipp Stubbe schildert seine Eindrücke.
In den Niederlanden gab es bis zur letzten Wahl das Ministerium für Natur und Stickstoff. Ministerin van der Wal-Zeggelink war ausschließlich dafür zuständig, die Nitratbelastung in ihrem Land zu reduzieren – und zwar um 50 % bis 2030. Dies zeigt den Druck, unter dem die niederländischen Landwirte stehen. Dass im Bereich der intensiven Tierhaltung und Nitratbelastung in den vergangenen Jahrzehnten nicht alles optimal gelaufen ist, gehört mittlerweile zur gängigen Meinung unter den Landwirten. Etwa 3 000 Betriebe sollen gegen Abfindungen von 100 bis 120 % des Verkehrswerts ihre Tore schließen. Dabei ist der Wille der Landwirte, aus eigenem Antrieb Verbesserungen herbei zu führen, groß. Die Niederländer stellen die Chancen in den Vordergrund und nicht die Risiken. Themen wie Versicherungen oder staatliche Unterstützungen spielen für sie eine untergeordnete Rolle.

Die niederländischen Landwirte sind für ihr risikoaffines Unternehmertum bekannt. Gibt es ein Problem, so nehmen sie es in die Hand. Kwekerij Overgaag beispielsweise produziert rote Paprika im Gewächshaus und nutzt dabei Erdwärme. Da das Image der holländischen Tomate stellvertretend für alle weiteren Gemüsesorten unter Glas wegen ihres hohen Wärmebedarfs nicht sonderlich gut ist, fand der Landwirt zusammen mit anderen Berufskollegen einen Weg zur nachhaltigeren Produktion, die heute CO2-neutral ist. Auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln konnte er massiv reduzieren, indem er zum Beispiel Schlupfwespen zur Schädlingsbekämpfung einsetzt. Das erfordert eine intensive Bestandskontrolle, die mit dem menschlichen Auge zum Teil eine Herausforderung darstellt. Deshalb plant der Betrieb eine innovative Lösung: Hochauflösende Kameras sollen zwischen den Reihen installiert werden und detaillierte Aufzeichnungen vornehmen, die dann durch Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet werden. Sobald ein minimaler Besatz festgestellt wird, kommen die natürlichen Schädlingsbekämpfer zum Einsatz. Kategorisch biologischer Anbau ist es allerdings nicht: Ist der Schädlingsbefall zu hoch, werden die Nützlinge durch chemischen Pflanzenschutz unterstützt. Hier werden die Vorteile beider Systeme konsequent miteinander kombiniert.
Diese Innovationskraft und Neugier auf neue Herangehensweisen kann man überall in den Niederlanden beobachten. Im Fokus stehen Kostenführerschaft und Wettbewerbsfähigkeit. Der Blick geht auf die Märkte. Bei Landpreisen, die aktuell in einigen Regionen bei rund 130 000 €/ha liegen und Pachtpreisen zwischen 3 000 und 5 000 €/ha, ist die Intensivierung und Spezialisierung der Betriebe vorgezeichnet. Gerade im Gemüse- und Tulpenzwiebelanbau sind die Niederländer Spezialisten. Dabei lässt sich eine starke Technisierung beobachten, die unter anderem der Knappheit von Arbeitskräften geschuldet ist. Gute Mitarbeiter, die eigenverantwortlich handeln, liegen heute auf einigen Betrieben bei einem Brutto-Jahresgehalt von bis zu 100 000 €. Nur attraktiv gestaltete Arbeitsplätze können im Wettbewerb um die Fachkräfte mithalten. Gleichzeitig ist der Einsatz von Feldrobotern deutlich weiter verbreitet als in Deutschland. So ist hier beispielsweise durch die Nachfrage das Unternehmen AgXeed entstanden – ein Startup, das autonome Schlepper entwickelt hat. Gerade einfachere Arbeiten im Ackerbau, wie die Bodenbearbeitung, werden sukzessive automatisiert. Dies gilt auch in der Tierhaltung. 50 % der Milchkühe werden in automatischen Melksystemen gemolken. Die Substitution von Arbeit durch Kapital ist in den Niederlanden besonders anschaulich.
Mehr Wertschöpfung durch Sonderkulturen. Einer der größeren Betriebe im Land – Franzen Landbouw – baut auf 700 ha unter anderem Kartoffeln, Zwiebeln, Tulpen und Rosenkohl an. Weizen und Zuckerrüben dienen auch bei hohen Erträgen nur zur Auflockerung der Fruchtfolge. Da ein Großteil der Kartoffeln in der Vergangenheit auf den afrikanischen Kontinent verschifft wurde, entstand 2019 die Idee, die Kartoffel direkt vor Ort anzubauen. Heute bewirtschaftet Franzen zusätzlich 200 ha im Senegal. Derzeit werden dort Kartoffeln und Speckbohnen angebaut. Wieder zeigt sich die niederländische Risikobereitschaft, die in diesem Fall belohnt wurde. Aber selbst wenn nicht, gilt Scheitern in den Niederlanden selten als eine Schmach wie hierzulande, sondern wird als Chance auf Neues verstanden. Die politischen Rahmenbedingungen sind in den Niederlanden ähnlich wie bei uns, jedoch ist die Bedeutung der Prämienzahlung auf EU-Ebene deutlich kleiner. Wenn Betriebe durch ihre intensiven Kulturen 10 000 bis 15 000 € Umsatz auf einem Hektar erwirtschaften, mutet die Betriebsprämie eher gering an und die Bereitschaft zum Ausstieg ist deutlich höher.
Standpunkt: Innovationskraft und Veränderungsbereitschaft

Unternehmer. Ist man auf niederländischen Betrieben unterwegs, fällt der starke Unternehmergeist der Landwirte sofort auf: Es wird mit Begeisterung von Leistungen und Zukunftsperspektiven gesprochen. Dieses Unternehmertum hat sicherlich zu gewissen Konzentrationsproblemen geführt, die korrigiert werden müssen. Statt aber Rauskaufprogramme anzubieten, wünscht man sich von der niederländischen Politik Kommunikationsfähigkeit und ein gemeinsames Erarbeiten von Zielen. In neuen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen versuchen die niederländischen Landwirte, ihre Chancen auszumachen und nicht die Entwicklungen zu konterkarieren. Es sei denn, es geht um das Nitratprogramm. Aber auch hier betonen die Landwirte nicht etwa, dass Daten falsch erhoben wurden oder Ähnliches, sondern fordern von der Politik, Ziele zu setzen und das Erreichen der Ziele den Landwirten zu überlassen.
Wir können uns viel von unseren Nachbarn abschauen. Häufig täte uns die Konzentration auf die eigene Leistungsfähigkeit und Offenheit gegenüber neuen Rahmenbedingungen besser als der stetige Ruf nach staatlicher Unterstützung. Und mit unseren Nachbarn können wir uns stark machen für eine Politik, die statt sich in detaillierter Regulatorik zu verlieren den groben Rahmen der Produktion vorgibt und den Rest uns Unternehmern überlässt.