
Nachhaltigkeit. Mehr Pflanzenkost fürs Klima?
In der Debatte über nachhaltige Ernährung wird von manchen Seiten immer wieder der Anschein erweckt, dass besonders die Erzeugung tierischer Lebensmittel nicht nachhaltig sei. Schnell kommen dann Forderungen hinzu, die Nutztierhaltung deutlich zu reduzieren, um die Umweltwirkung zu mindern. Doch das ist eine ziemlich einseitige Betrachtung.
Fleischesser wandeln sich zu Flexitariern. Supermärkte reservieren ganze Regalfluchten für vegetarische und vegane Lebensmittel. Das Fast Food unserer Tage ist nicht mehr fettig, sondern pflanzlich, bekömmlich und gesund. Alle Zeichen sprechen dafür, dass sich unsere Ernährung wandelt. Das ist nicht selbstverständlich, dominierten zuletzt doch meist andere Themen den öffentlichen Diskurs: der Krieg in Europa, Inflation und steigende Preise. Doch am Thema Ernährung kommt man nicht vorbei. Es ist schlichtweg zu groß, weil es uns alle betrifft. Täglich. Vor allem aber ist das Thema Ernährung untrennbar mit der elementaren Herausforderung unserer Zeit verbunden: dem Kampf gegen den Klimawandel.
Im Diskurs über nachhaltige Ernährung werden immer wieder pflanzliche und tierische Lebensmittel gegeneinander ausgespielt. Von einer ersten Gruppe von Akteuren ganz bewusst, wenn es überhaupt nicht um die sachliche Einordnung geht, sondern um die Platzierung pflanzlicher Ersatzprodukte, Tierschutz oder Tierrechte. Eine zweite Gruppe agiert ohne bestimmte Absicht, sondern in dem Glauben »das Gute« oder »das Richtige« zu tun. Im Normalfall werden dann einfach Zahlen und Informationen nachgeplappert. Beliebt sind Rankings der größten Klimakiller oder auch Empfehlungen zur Ernährung, allem voran weniger Fleischverzehr.
Also einfach vegan leben, um die Welt zu retten? Tatsächlich, Veganer haben durch den Verzicht auf tierische Lebensmittel einen mitunter deutlich geringeren Klimafußabdruck der Ernährung als Mischköstler und selbst als die meisten Vegetarier. Da läge es doch auf der Hand, wenn die gesamte Menschheit einen Bewusstseinswandel vollzieht und fortan auf tierische Lebensmittel verzichtet. Immerhin wird laut dem Weltklimarat etwa ein Viertel der globalen Klimagase durch die Ernährung und allem was dazu gehört verursacht. Und gut die Hälfte der ernährungsbedingten Treibhausgase produzieren wir weltweit und in Deutschland durch den Konsum tierischer Lebensmittel. Also: einfach verzichten, Klima gerettet, Tierwohldiskussion beendet? So einfach geht es leider nicht, auch weil es außer unserer Ernährung ja noch ein paar andere Gründe für den Klimawandel gibt.
Beitrag zur Entstehung von Treibhausgasen. Derzeit verursacht jeder Deutsche etwa 11 t Treibhausgase pro Jahr, je nach Analyse mal etwas mehr oder ein bisschen weniger. Damit liegen wir über dem EU-Durchschnitt von gut 8 t. Wollten wir die Welt retten, so dürfte laut Klimaexperten jeder Mensch auf Erden nur noch zwei, besser eine Tonne Treibhausgase pro Jahr insgesamt verursachen. Je mehr Menschen, desto kleiner die eigene Komfortzone.
Unser Ernährungsstil in Deutschland trägt zu gut 1,5 t jährlich zum persönlichen Klimarucksack bei. An den restlichen 10 t muss, wie gesagt, auch gearbeitet werden, doch das ist ein anderes Thema.
Ganzheitliche Betrachtung. Nicht selten werden hübsche Grafiken gezeigt, mit denen 1 kg Fleisch mit 1 kg Kartoffeln oder Brokkoli hinsichtlich ihrer Klimawirkung verglichen werden. Damit wird der Anschein erweckt, es wäre doch die beste Idee, tierische Lebensmittel vom Speiseplan zu streichen und alles wird gut.
Tierische Lebensmittel schneiden in diesen Vergleichen aufgrund des höheren Rohstoffeinsatzes sowie der gesetzten Systemgrenzen der Ökobilanzierung regelmäßig schlechter ab als pflanzliche Lebensmittel. Auch wenn diese Betrachtung zulässig ist, spiegelt sie nicht die Auswirkungen des gesamten Foodsystems wider, in dem mehrere Wertschöpfungsstufen, direkte und indirekte Einflüsse und Gesamtmengen von Lebensmitteln interagieren und bilanziert werden. Denn beim Aufstellen von Ökobilanzen für einzelne Lebensmittelprodukte gibt es, da sind sich die Wissenschaftler einig, vergleichsweise viele Unsicherheiten.
Klar ist: Eine Transformation des Ernährungssystems muss es geben und wird es geben. Und hat es auch schon immer gegeben, siehe Deutschland um 1900 und heute. In erster Linie geht es dabei aber immer noch darum, dass ausreichend Lebensmittel erzeugt werden, um bevölkerungsweit ausreichend Nährstoffe in die Menschen hineinzubekommen, sodass diese gesund und leistungsfähig bleiben. Das ist übrigens die Definition von Ernährung. Und wie das auch ökologisch und ökonomisch (vor allem für die Landwirte) nachhaltig funktioniert, ist die Herausforderung unserer Zeit.
Energie aus pflanzlichen Quellen. Tierische Lebensmittel waren noch nie die Hauptlieferanten für Energie. Diese hat der Mensch schon immer hauptsächlich über Getreide, Knollengemüse und Obst aufgenommen. Vielmehr waren es die Mikronährstoffe und hochwertige Eiweiße aus tierischen Lebensmitteln, die schon in der frühzeitlichen Landwirtschaft für höhere Überlebensraten der Menschen gesorgt hatten. Vor der landwirtschaftlichen Revolution wurde eben gejagt, um an tierisches Eiweiß zu kommen.
Die gängigen Darstellungen vernachlässigen genau das: Die Proteinqualität und die Zufuhr von Mikronährstoffen. Das Motiv dahinter ist in der Regel, tierische Lebensmittel per se als »böse Lebensmittel« darzustellen. Den Absendern geht es meistens eher um das Ziel, Tierschutz oder Tierrechte durchzusetzen, doch die Handlungsbereitschaft dafür ist in der Bevölkerung nicht besonders hoch. Für den Klimawandel oder Umweltprobleme dagegen schon höher.
Pflanzliche Lebendsmittel können tierische nicht einfach 1:1 ersetzen.
Die Menge an Fleischersatzprodukten nimmt in Deutschlands Warenregalen zu. Sie basieren häufig auf Soja, doch fleischlose Alternativen gibt es auch mit Erbsen, Seitan, In-vitro-Fleisch und manchmal sogar Insekten. Manche Prognosen gehen davon aus, dass in 15 bis 20 Jahren bis zu 65 % des Fleischmarktes aus Ersatzprodukten bestehen könnten. Da wird extrem viel gehypt und Investitionsfelder vorbereitet. Startups wie Beyond Meat oder Impossible Foods und fast alle großen Lebensmittelkonzerne beschäftigen sich mit dem Zukunftstrend kultiviertes Fleisch. Dahinter stecken mächtige Investoren wie Bill Gates, der am Impossible Burger beteiligt ist. Die Frage ist: Wird In-vitro-Fleisch absehbar – ökologisch und ökonomisch – eine Alternative sein? Ob die Technologie jemals eine annehmbare Klimaeffizienz erreicht oder für eine Massenproduktion in der Lage sein wird, steht in den Sternen. Auch hier gilt es, mögliche Interessenkonflikte zu erkennen.
Die realen Lösungen werden sich dort abzeichnen, wo seit jeher Lebensmittel herkommen und wo sie gegessen werden: auf dem Acker oder der Weide und auf den Milliarden Esstischen dieser Welt. Für 10 Mrd. Menschen im Jahr 2050 wird der Bedarf an Protein nochmals um ca. 30 % auf dann 850 Mio. Tonnen steigen.
Je mehr Pflanzenkost in der Lebensmittelversorgung, desto schlechter die Proteinqualität, auch schon ohne Ersatzlebensmittel. Es ist deshalb ein Paradoxon unserer Zeit, in Deutschland, wo vor 120 Jahren noch genau der Protein- und Mikronährstoffmangel herrschte wie heute in anderen Regionen der Erde, die Erzeugung von tierischen Lebensmitteln zu verdammen oder vegetarische/vegane Ernährungsideologien für alle als die Ernährungsweise der Zukunft zu verkaufen.