SBR/Stolbur. Lässt sich die Zikade stoppen?
Die Schilf-Glasflügelzikade ist bemerkenswert anpassungsfähig und kann in verschiedenen Umwelten und Kulturen gedeihen. Die Bekämpfung der Krankheitsüberträgerin ist daher eine echte Herausforderung. Helen Pfitzner zeigt mögliche Ansätze.

Die Schilf-Glasflügelzikade – Pentastiridius leporinus – war vor gar nicht langer Zeit ein seltenes Insekt. Inzwischen breitet sie sich zunehmend in Acker- und Gemüsekulturen aus und überträgt gefährliche Pflanzenkrankheiten.
Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Schilf-Glasflügelzikade erfolgreich einzudämmen? Welche Erkenntnisse aus anderen Kulturen lassen sich nutzen und wie innovativ sind die bisher entwickelten Lösungsansätze? Besonders wichtig ist auch die Frage, wann diese Strategien in der Praxis anwendbar sind und ob Betriebe außerhalb der aktuellen Befallsgebiete ebenfalls gefährdet sind.
Den Lebenszyklus der Zikade kennen
Den Lebenszyklus des Insekts zu kennen ist unabdingbar für das Verständnis über seine Relevanz und Verbreitung sowie für Maßnahmen, die dieser Verbreitung entgegenwirken können. Im Frühsommer fliegen die erwachsenen Schilf-Glasflügelzikaden in die Flächen mit ihren Wirtspflanzen ein. Dort saugen sie an den Pflanzen und übertragen so die Krankheitserreger, die die verheerenden Symptome in unseren Kulturpflanzen hervorrufen.
Neben der Nahrungsaufnahme legen sie nah an ihren Wirtspflanzen auch Eier in den Boden ab, aus denen dann die Nymphen schlüpfen. Diese ernähren sich an den unterirdischen Pflanzenteilen und können, wie ihre Eltern, Krankheitserreger auf die Kulturpflanzen übertragen. Wird die Pflanze, z.B. die Zuckerrübe, geerntet, verbleibt die Nymphe bis zum nächsten Frühjahr im Boden und kann sich von Ernteresten und der nachfolgenden Kulturpflanze ernähren.
Die Krankheitserreger, die übertragen werden können, sind ein Stolbur Phytoplasma und ein Arsenophonus-Bakterium. Beide lösen Symptome wie Welke und schrumpeliges Erntegut aus. In Zuckerrüben kann man den dominierenden Erregertyp im Feld gut ansprechen. Überwiegt PHYPSO, finden wir Rüben mit gummiartigem Rübenkörpern sowie welken Blättern. Herrscht ARSEPH vor, sehen wir lanzettliche Herzblätter und Vergilbung sowie verbräunte Leitbündel.
Beide Schadsymptome können gleichzeitig oder nacheinander vorkommen. Unabhängig davon, welches der beiden Pathogene die größte Rolle im regionalen Infektionsgeschehen spielt, führen die Schäden in den Leitbahnen und der daraus resultierende Stress für die Pflanzen zu einem Rückgang des Zuckergehalts und der Rübenerträge.
Schwache Pflanzen – viele Krankheiten.
Geschwächte Pflanzen sind zudem anfälliger für zusätzliche Belastungen, was das Auftreten von Schwächekrankheiten begünstigt. Erreger wie Macrophomina phaseolina sowie sekundäre Pathogene wie Cercospora oder Rhizopus-Arten können sich in diesen geschwächten Beständen besonders leicht ausbreiten. In Kartoffeln können die Erreger bisher nicht anhand der Symptome angesprochen werden. Dort muss zwingend eine Analytik durchgeführt werden, um festzustellen, welcher der Erreger dominiert. Die Symptome ähneln denen in anderen betroffenen Kulturen und äußern sich vor allem in Welke und schrumpeligem Erntegut.
Besonders in Kartoffeln und Gemüse wiegen die Folgen schwerer als in Zuckerrüben, da die Ernteprodukte direkt vermarktet oder weiterverarbeitet werden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die nachgelagerten Bereiche. Kartoffeln z. B. werden durch erhöhte Zuckerwerte für die Chipsproduktion oft unbrauchbar. Zudem liegt es auf der Hand, dass schrumpelige Kartoffeln nicht vermarktet werden können und sich schlecht lagern lassen, was die wirtschaftlichen Verluste noch vergrößert.
Die Schilf-Glasflügelzikade ist ein generalistisches Insekt und eine wahre Kosmopolitin in Bezug auf ihre Verbreitung. Sie ist in der Lage, ihren Lebenszyklus auf unterschiedlichen Pflanzenarten zu vollziehen und diese gleichzeitig als Nahrungsquelle zu nutzen. Dank ihrer bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit kann sie sich in verschiedenen Umwelten zurechtfinden und gedeihen. Es ist allerdings so, dass nicht alle Kulturpflanzen gleichermaßen für die Zikade geeignet sind. Manche dienen nur als Nahrungsquelle und manche als Nahrungs- sowie zusätzlich als Vermehrungspflanze.
Die gute Nachricht ist, dass es auch Kulturpflanzen gibt, an denen die Nymphen der Zikade überleben können, ohne dass Schäden am Erntegut zu verzeichnen sind (z.B. Weizen). Es gibt also:
- Wirtspflanzen mit Infektion, Schäden, Eiablage und Nymphen: Zuckerrübe, Kartoffel, Mangold, bestimmte Unkräuter
- Pflanzen mit Infektion, Schäden, aber ohne Nymphen: Zwiebel, Physalis, Paprika, Tomate, Rhabarber, Erdbeere, Sellerie
- Pflanzen, an denen die Nymphen überleben können, ohne Schäden an der Ernte zu verursachen: Weizen, Gerste, Ramtillkraut, bestimmte Unkräuter
- Pflanzen mit niedriger Überlebensrate für Nymphen: Ölrettich, bestimmte Senfsorten, Sojabohnen
- Mögliche Wirtspflanzen mit Infektion, Schäden, Eiablage und Nymphen: Karotte, Pastinake, Wurzelpetersilie, Rote Bete, Chicorée, bestimmte Hülsenfrüchte
- Pflanzen, die positiv auf ARSEPH und/oder PHYPSO getestet wurden, die mit den Erregern verbundenen Symptome sind aber unklar: Rotkohl, Weißkohl, Chinakohl
Die Verbreitung des Insekts geht schnell
Am Beispiel von Hessen kann man sich leicht ausrechnen, dass das Tier ungefähr 40 km im Jahr wandern kann. Diese Angabe schwankt zwar von Jahr zu Jahr, zeigt aber den ungefähren Kreis auf, in dem die Tiere sich im Schnitt bewegen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Zikade in ganz Deutschland vorkommt, jedoch sind nicht alle Tiere mit den gefährlichen Krankheitserregern beladen.
Die Erreger sind unterschiedlich stark verbreitet. PHYPSO kommt in ganz Europa überall vor, ARSEPH breitet sich auch immer weiter aus und ist aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Ungarn, Rumänien und vielen weiteren Ländern bekannt.
Schwierige Bekämpfung
Die Verbreitung über viele Kulturen und immer größere Naturräume hinweg bedeutet natürlich, dass Bekämpfungsmaßnahmen zur Eindämmung des Schädlings unbedingt kurzfristig zum Erhalt der Kulturen nötig sind. Welche Maßnahmen helfen, wurde in den vergangenen Jahren in verschiedenen Forschungsinitiativen und Projekten der Länder RLP und Hessen (EIP Agri) mit der Praxis erarbeitet. Je nach Kulturpflanzenart ist der Wissenstand für die Praxis unterschiedlich ausgeprägt – allen gemeinsam ist bisher jedoch: Die Zikade hat eine lange Flugperiode und verbringt einen Großteil ihres Lebens unter der Erde. Sie ist somit schwierig effektiv zu behandeln.
Am längsten betroffen ist die Zuckerrübe, und daher beispielhaft für die anderen Kulturen zu beleuchten. Das erste Mittel der Wahl ist der Anbau einer angepassten Sorte. Im Rahmen der Projektarbeiten und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zuckerrübenforschung Göttingen sowie Züchtungsunternehmen konnten mittlerweile einige Neuzulassungen für »SBR-Gebiete« auf den Weg gebracht werden (Anbaubroschüre zu finden unter den Downloads). Es ist wichtig, zu unterscheiden, ob sich der eigene Betrieb im »PHYPSO«- oder im »ARESPH«-Gebiet befindet, um darauf die Sortenwahl abzustimmen. Wichtig ist auch, auf mehrere Sorten zu setzen, um das Risiko der Erregerverschiebung von Jahr zu Jahr zu minimieren.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist es, den Lebenszyklus des Insekts im Winter zu unterbrechen. Das ist möglich, indem man ihm die Nahrungsgrundlage entzieht und eine Sommerung anbaut. Als besonders positiv sticht hier Mais hervor. So kann der Ausflug der Tiere deutlich reduziert werden.
Auch eine Bodenbearbeitung im direkten Anschluss an die Ernte kann einen reduzierenden Effekt auf das Überleben der Nymphen haben. Hier ist zu empfehlen, »hinter dem Rübenroder herzufahren«, da bereits einen Tag nach der Ernte kaum Nymphen in den oberen Bodenschichten auffindbar sind. Dieses Verfahren ist allerdings nicht in Versuchen untersucht worden, sondern scheint eine logische Konsequenz aus dem Verhalten der Tiere zu sein. Im Kartoffelbau erledigt dies der
Kartoffelroder, da der Damm komplett gesiebt und die Erde von Reifen überfahren wird.
Auch eine frühe Saat und frühe Ernte haben die Erntegutqualität in allen bisher untersuchten Kulturpflanzen positiv beeinflusst. Ein weiterer erprobter Baustein ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Sie erzielen zwar nicht die gewohnten Wirkungsgrade, können aber wie die bereits genannten Strategien zur Reduktion der Zikade und ihres Nachwuchses beitragen.
Weitere Strategien eignen sich wenig oder haben noch einen langen Weg, bis sie in der Praxis angekommen sind (Übersicht). Insgesamt wird eine Kombination der Maßnahmen zur erfolgreichen Reduktion der Zikade führen
Ergänzung vom 05.05.2025
Am 31. März hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vorübergehend mehrere Notfallzulassungen für Insektizide zur Bekämpfung der Glasflügelzikade als Überträger der beiden bakteriellen Krankheitserreger in Rüben erteilt. Eine Notfallzulassung bekamen Carnadine 200 (Wirkstoff Acetamiprid), Mospilan SG (Acetamiprid), Danjiri (Acetamiprid), Decis forte (Deltamethrin), Karate Zeon (lambda-Cyhalothrin), Kaiso Sorbie (lambda-Cyhalothrin) und Sivanto prime (Flupyradifurone), siehe Übersicht.
Dazu das BVL: Im Zuckerrübenanbau sind bisher zur Bekämpfung von Glasflügelzikaden als Überträger bakterieller Krankheitserreger keine Pflanzenschutzmittel regulär zugelassen. Für eine ausreichende und nachhaltige Bekämpfung dieser Insekten sind mehrere Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Wirkungsmechanismen notwendig. Alle im Rahmen dieser Notfallzulassungen zugelassenen Mittel dürfen nur nach vorherigem amtlichen Warndienstaufruf der zuständigen Behörden angewendet werden.
Am 23. April 2025 hat das BVL dann auch für mehrere regulär zugelassene Pflanzenschutzmittel weitere Anwendungsgebiete zur Bekämpfung von Glasflügelzikaden in der Kartoffel ermöglicht.
