Kommentar. Revolutionär
Agrarpolitik. Was muss Landwirtschaft können, um zukunftsfähig und nachhaltig zu sein? Mit dieser Frage haben sich 29 Institutionen auf EU-Ebene aus unterschiedlichen Bereichen – von Bauernverband über Verbraucherschutz bis Umweltorganisationen – sieben Monate lang beim Strategischen Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft beschäftigt. Anlass waren die heftigen Bauernproteste im Winter. Den Abschlussbericht hat jetzt der Vorsitzende Prof. Peter Strohschneider (der zuvor die Zukunftskommission Landwirtschaft leitete) an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übergeben. Sie will innerhalb der ersten 100 Tage ihrer zweiten Amtszeit eine »Vision« für die EU-Landwirtschaft entwickeln. Und sie meint es ernst. Zentrale Botschaft: »The time for change is now.«
Der einstimmig beschlossene Abschlussbericht kommt einer Revolution der EU-Agrarpolitik gleich und würde radikal verändern, wie Brüssel Geld unter Landwirten verteilt: Weg von pauschalen Flächenprämien, wie sie heute im Zentrum der GAP stehen, hin zu einer Einkommensstützung, die nach sozioökonomischen Kriterien vergeben wird und die Bedürftigkeit der Betriebe berücksichtigt. Konkret geht es um Junglandwirte und Neueinsteiger, kleine Betriebe, Gemischtbetriebe und solche in benachteiligten Regionen. Heißt: Subventionen sollen jenen zugutekommen, »die sie am dringendsten benötigen«, was durch eine standardisierte Analyse der Bedürftigkeit nachgewiesen werden soll. Weiterhin empfiehlt der Bericht einen kompensatorischen Anteil für die Zusatzkosten von Ökoleistungen – und dazu noch einen Einkommensbestandteil. Also Eco Schemes plus Top-up. Dass die Wirtschaftlichkeit der Betriebe wieder stärkeres Gewicht erhalten soll, hatte sich schon vor den Europawahlen im Juni abgezeichnet. Auf Druck des konservativen Lagers hatte damals von der Leyen neben Bürokratieabbau auch eine Wende hin zu weniger Umweltund Klimaauflagen angekündigt. Abschaffung der Stilllegungsverpflichtung (GLÖZ 8) und weniger strenge Fruchtfolgeregelungen sind erste Ergebnisse. Das ist aber allenfalls ein Anfang und der Plan des Strategischen Dialogs viel ambitionierter.
Daher zeichnen sich bereits Konflikte ab. Das Ergebnis sei »nicht die aus Sicht der Landwirtschaft notwendige politische Kursänderung, für die wir Anfang des Jahres auf die Straße gegangen sind«, ließ Joachim Rukwied verlauten. Er war zwar persönlich nicht in der Runde beteiligt. Der DBV ist aber Mitglied im europäischen Dachverband Copa, dessen Präsidentin das Konsenspapier mit unterzeichnet hat. Statt ganzheitlicher Betrachtung werden jetzt schon wieder Einzelaspekte zerredet. Borchert, ZKL – damit sich der Strategische Dialog da nicht einreiht, braucht es eine zügige Weiterverarbeitung der Ergebnisse. Das ist sicher nicht trivial, aber eine Chance. Ansonsten bleibt die europäische Landwirtschaft in einer »Lose-Lose-Situation« gefangen. So treffend bringt es Prof. Strohschneider auf den Punkt.