Russlands Invasion in die Ukraine – Auswirkungen auf die Getreidemärkte und die Ernährungssicherheit

  1. Die russische Invasion in die Ukraine wird enorme Konsequenzen für Millionen von Ukrainern und Ukrainerinnen, die Sicherheit in Europa, die Energiemärkte, aber auch für die Agrarmärkte und die globale Ernährungssicherheit haben.
  2. Die ukrainische Getreideproduktion wird in diesem Jahr vermutlich um mindestens 35 Mio. Tonnen gegenüber 2021 sinken – eine Menge die folglich auch nicht exportiert werden kann. Darüber hinaus werden Schäden an der Infrastruktur wie den Hafenanlagen einen möglichen Export von Produktionsüberschüssen behindern. Russlands Produktion wird zwar aller Voraussicht nach nicht betroffen sein, doch logistische und finanzielle Sanktionen werden zu Verzögerungen und Handelsumlenkungen führen, wodurch es möglicherweise auch zu einer Reduktion der russischen Getreideexportmenge kommt.
  3. In Erwartung dieser Effekte haben die Weltmarktpreise für Getreide historische Höchststände erreicht. Sofern die Kriegshandlungen nicht beendet werden und sich die russischen Truppen nicht unverzüglich zurückziehen, ist kaum ein Preisrückgang in Sicht. Die Weltgetreidemärkte waren ohnehin schon vor der Invasion knapp versorgt und werden es auch voraussichtlich in den nächsten Jahren bleiben.
  4. Durch die geringe Getreideexportmenge aus der Schwarzmeerregion wird die Ernährungssicherheit in Industrieländern wie Deutschland zwar nicht gefährdet, aber die Inflation der Nahrungsmittelpreise wird dadurch angeheizt. Die meisten Haushalte werden das verkraften können und einkommensschwache Haushalte, die hiervon besonders betroffen sind, könnten mit zielgerichteter finanzieller Unterstützung zumindest entlastet werden.
  5. Allerdings ist die Situation in denjenigen Entwicklungsländern besonders katastrophal, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind. Die Zahl der unterernährten Menschen in diesen Ländern war schon vor dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine angestiegen und jetzt bedrohen Versorgungsengpässe und hohe Getreidepreise die Ernährungssicherheit von mehreren 100 Mio. Menschen, vor allem in Afrika und Südostasien.
  6. Es ist davon auszugehen, dass der russische Diktator die Problematik der globalen Ernährungssicherheit als Waffe nutzen wird, um den Westen in Verruf zu bringen und zu spalten. Er hofft, dass Flüchtlingsströme aus Afrika und Nahost durch Versorgungsengpässe und politische Instabilität erneut ansteigen werden, um so die Entschlossenheit und Solidarität der EU zu schwächen. Er wird den Westen beschuldigen, für zunehmenden Hunger und globale Versorgungsengpässe verantwortlich zu sein – gleichzeitig wird er betonen, dass Russland über Weizen verfüge und gern helfen würde, aber es wegen ökonomischer und finanzieller Sanktionen nicht könne.
  7. Als Antwort auf die sich abzeichnenden Herausforderungen, sollten die politischen Entscheidungsträger in der EU …
    •  … einen Beitrag zur Vorbereitung und Finanzierung einer groß angelegten, international koordinierten Nahrungsmittelhilfe leisten.
    •  … der Versuchung widerstehen, vor allem im Eigeninteresse zu handeln und prozyklisch wirkende Politikmaßnahmen zu treffen (wie ein kürzlich durch Ungarn vorgeschlagenes Weizenexportverbot), wodurch die globale Hungerproblematik nur noch stärker auf die Ärmsten der Armen verlagert werden würde.
    •  … die Gemeinsame Agrarpolitik der EU überdenken, denn die russische Invasion in die Ukraine zwingt dazu, die geopolitische Dimension der Agrarpolitik anzuerkennen – es geht nicht mehr darum, die Landwirtschaft von nebenan entsprechend den Vorstellungen eines idyllischen Bilderbuches zu gestalten. Agrarpolitische Maßnahmen müssen zunehmend darauf ausgerichtet werden, die Landwirtschaft der EU nachhaltiger und produktiver zugleich aufzustellen, anstatt die Nachhaltigkeit auf Kosten der Produktivität zu fördern.
    • … und die Bioenergiepolitik überdenken, denn die russische Invasion verdeutlicht die Notwendigkeit zur Senkung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sowohl aus geostrategischen als auch aus umweltpolitischen Gründen. Bioenergie kann zwar zur Reduktion dieser Abhängigkeit beitragen, doch wenn die Bioenergieproduktion auf Flächen erfolgt, die ansonsten zur Erzeugung von Nahrungsmitteln verwendet werden können, werden Nahrungsmittel dadurch knapper und teurer. Politische Entscheidungsträger sollten über die Abschaffung oder die Flexibilisierung von Verpflichtungen beraten, die unabhängig vom Nahrungsmittelpreisniveau eine Beimischung von Biokraftstoffen vorschreiben.

Die gesamte Arbeit (in englisch) finden Sie hier.

Prof. Stephan von Cramon-Taubadel, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen 

Prof. Stephan von Cramon-Taubadel